
Macht Lesen tolerant?
- by Lesekissen
Sozialmedial fliegen überall Herzen, es ist quietschbunt und überall liegen sich Männer und Frauen in den Armen. Das liegt nicht nur an der vielfältigen Literatur, sondern auch an der Begeisterung darüber, dass in Amerika ein längst überfälliges Grundrecht entstanden ist: gleichgeschlechtliche Paare dürfen heiraten. Jeder freut sich, gratuliert und es ist ein Sieg für die Liebe gegenüber religiösen Fanatismus, Konservatismus und Diskriminierung. Ein kleiner Sieg, der noch viel Arbeit bedeutet, aber einer mit Hoffnung.
Grinsend scrolle ich da durch die vielen Instagrambilder mit Bücherstapeln in bunter Flaggenoptik, sehe Profilbilder mit Regenbogenfahne und zigmillionen Tweets mit #LoveWins, aber moment mal… das sind ja alles Buchblogger, Buchvlogger oder sonstige Literaturmenschen?! Nebst vielen Künstlern und Kreativen!
Ich schau noch einmal durch meine Feeds und erkenne ein interessantes Muster. Wer viel liest, spricht sich oft dafür aus! Liegt das etwa am Lesestoff oder hat das einen anderen Grund? Macht Literatur uns tolerant?
Harry Potter macht Kinder tolerant
Aktuelle Studien haben es schon eigentlich bewiesen, Literatur kann uns lehren gegenüber Randgruppen toleranter zu sein. Allen voran der Zauberlehrling Harry Potter und sein ganzes Universum zeigen Intoleranz wie Toleranz gleichermaßen. Wer sich richtig in die Materie hineinarbeitet findet auch schnell Parallelen zum realen Leben.
Nehmen wir mal die Begriffe Schlammblut und Halbblut. Sie sind Beleidigungen in dieser Welt für Leute, die Muggeleltern haben oder von Kindern, die von Muggeln und Zauberern gezeugt wurden. Dass hier Rassismus deutlich wird, braucht man wohl kaum noch erläutern, oder? Und was ist mit Albus Dumbledore? J. K. Rowling selbst hat ihn als homosexuell geoutet und damit viel Kopfnicken erhalten statt Ablehnung. Was ist mit Hauselfen, die versklavt und mies behandelt werden? Und, und, und… Die Liste ist endlos, geht von Tierquälerei bis hin zur Anerkennung von Randgruppen. Und wer mir nicht glaubt, der sollte sich mal auf die Suche von Fan-Fictions begeben. Ich glaube im Potter-Universum gibt es wohl mehr homosexuell geprägte Geschichten von Fans und Anhängern, als in jeder anderen Community.
Aber wie kommt das?
Lernen am Modell
In der Lerntheorie gibt es das „Lernen am Modell“. Kurz heruntergebrochen heißt es, dass sich gerade Kinder Vorbilder suchen und ihr Verhalten nachahmen, wenn sie dadurch Erfolg haben. Wenn das Verhalten des Modells positiv ist, wie bei Harry Potter, wird das angewendet, um den gleichen positiven Erfolg zu erzählen. Hier steigt man also von der Fiktion in die Realität. Das kann natürlich auch negativ laufen, wer mit Gewalt etwas erreicht, können sich Kinder auch das aneigenen! Nicht umsonst heißt es immer, dass Eltern ihren Kindern ein Vorbild sind. Schließlich lernen sie von ihren Eltern, ihren Vorbildern, die Verhaltensmuster und kupfern sie ab.
In diese positiven Fall also lernen Kinder Toleranz, wenn sie sich Harry Potter und seine Freunde als Modell nehmen und damit identifizieren können. Ohne Identifikation gibt es keinen Lernprozess, der Anwendung finden kann, da hilft es auch nicht die Reihe auswendig zu können.
Vielfältigkeit der Literatur
Dabei muss es nicht mal der Zauberlehrling sein, sondern es gibt viele Romane, die diesen Prozess unterstützen. Wer viel liest, bekommt viele Meinungen, Einblicke, auch persönlicher Natur, in alle möglichen Persönlichkeiten hinein. Seien es Behinderungen, Leben mit psychischen Krankheiten oder aber eben die eigene Sexualität. Beweggründe werden erläutert, man bekommt Argumente geliefert, die man vorher vielleicht gar nicht erschließen konnte und vieles mehr. Außerdem werden die Empathie und Vorstellungskraft geschult, da wir uns regelmäßig in andere Personen hineinversetzen müssen.
Und der wichtigste Punkt: Literatur bildet. Es ist nichts Neues, dass mit steigender Bildung die Toleranzbereitschaft zunimmt. Was man nicht kennt, hasst man sehr schnell. Wenn man es aber kennenlernt, hat man auch keine Angst mehr davor. So einfach kann das Leben manchmal sein. Also macht Lesen in vielen Punkten durchaus toleranter. Durch die Emotionen, das Vorleben positiver Vorbilder, können Kinder und auch Erwachsene durchaus in Toleranz ausgbildet werden, neue Werte erhalten und diese im Alltag durchsetzen.
Können! Das kann auch andersherum verlaufen.
Negative Werteerziehung
An sich entstehen dadurch neue Werte, die aber auch negativ werden können. Die falsche Literatur führt schlussendlich nicht zu mehr Toleranz, sondern zum Gegenteil, der Intoleranz. Nicht zuletzt ist das daran erkennbar, dass gerade religiöse Fanatiker gerne mal Bücher verbieten lassen möchten, die ihren Kinder „schaden“, weil sie nicht deren ethischen Ausrichtung entspricht. Harry Potter wäre hier ja 1. Hexenwerk und 2. auch noch erzieherisch falsch. Stattdessen bekommen die Kinder oder auch Erwachsene Literatur präsentiert, die ihre Angst verstärken, ihren Hass schüren und die Leute noch tiefer in die Intoleranz stürzen. Propaganda verschiedenster Diktaturen benutzen dieses Prinzip, um den kognitiven Prozess anzuregen und damit ihre Bevölkerung zu manipulieren. So machen es auch extreme Gruppierungen verschiedenster Religionen oder Organisationen. Und das führt genau zum negativen Ziel. Literatur sollte man also nicht unterschätzen, denn sie ist und bleibt ein Mittel der Beeinflussung.
Macht Lesen also tolerant? Nur, wenn es das richtige Buch ist, sonst hilft auch das Lesen nichts. Umso wichtiger ist es Literatur zu schaffen, die auch Randgruppen und Minderheiten thematisiert und in einen positiven Kontext setzt. Seien es aus dem LGBTQ-Bereich oder andere gesellschaftliche Probleme wie Hass gegenüber Ausländern, Flüchtlingen oder auch Behinderungen, die aufgearbeitet werden sollen. Nur mit dem richtigen Buch, kann genau dieser positive Effekt erzielt werden. Und davon würden wir alle profitieren.
Sozialmedial fliegen überall Herzen, es ist quietschbunt und überall liegen sich Männer und Frauen in den Armen. Das liegt nicht nur an der vielfältigen Literatur, sondern auch an der Begeisterung darüber, dass in Amerika ein längst überfälliges Grundrecht entstanden ist: gleichgeschlechtliche Paare dürfen heiraten. Jeder freut sich, gratuliert und es ist ein Sieg für die…