
Im Herbst ist man leise
- by Lesekissen
Deinen Kopf gegen die Scheibe gelehnt, hoffst du doch nur eines Tages würde es sich ändern. Dass da dieses Dröhnen in deinen Hirnwindungen aufhört oder was auch immer es sonst sein mag, was sich da unter deine Schädeldecke herumtreibt. Haben ja alle, sagen sie. Ist ganz normal, meinen sie. Dabei versuchst du im Regen des Herbstes diese Melancholie zu finden, die dich doch beruhigt hat. Dieser alte gute Freund, der alles so schön schwammig macht. Schwammig wie nach einer Vollsuffnacht. So Tage, wo man sich immer so leer und und ausgehöhlt fühlt, ein Zeichen, dass du eben alles gegeben hast und wenn es auch deine Unterwäsche war.
Da fällt es dir wieder ein wie es eigentlich wirklich war. Hier war keine Nacht mit Glanz und Gloria und wir gehen unter. Die Musik war mehr so Gestammel und was von Romantik war nicht vorhanden. Nicht mal in deinem kleinen romantisierten Kopf aus Filmstreifen war Platz für ein wenig Liebelei. So ein bisschen Flattern zwischen unter den Lungenflügeln hat noch niemanden geschadet, aber du fliegst nicht. Es war mehr so dieses Geklopfte gegen Bettkanten, wo genervte Mitbewohner einen anschreien, ob man nicht leise vögeln kann. Man will pennen. Nachbar, du solltest nach Australien reisen!
Wenn es selbst das gewesen wäre, sehe alles so viel heller aus. Mehr als in dieser Grauzone aus der man nicht mehr herauszukommen scheint. So wie eben ein Herbstregen, der alles so schön einfärbt, in seinen grau und dem ganzen sein Gold klaut. Keine heiße Schokolade stattdessen bitterböse Einsamkeit. Der Lack ist ab und so bleibt nur die traurige Hässlichkeit.
Du denkst daran wie du ihn kennengelernt hast. Da war zu viel Tequila, die böse Sorte, wo man sich die Orange schon spart, weil es eh zu spät ist. Solche Nächte, die schon woanders anfangen, mit ein paar guten Freunden im Gepäck, ein ganzer Clan aus Menschen egal was sie im Schritt tragen, und dann nur darin enden, dass man in kalten Herbstnächten die warme Zunge in den Hals bekommt, während eine Hand sich wild in deine Jeans schiebt.
Da denkt man nicht an ein Morgen. Nicht, wenn das alle auf der Party von deinem Bekannten auch machen, wenn die mit ihrem Glimmstängel auf dem zu kleinen Balkon ihre Philosophien in den Himmel blasen. So eine Nacht war das, an der du schwankend einem entgegenfällst und dann bleibt man eben stehen für einen Plausch. Redet über sein Studium, dass man ja so sehr hasst und trotzdem macht. Man hört sich die Zukunft – es erstickt dich schon die Gegenwart – an und vergisst sie gleich wieder, weil man in seinem Rausch zu beschäftigt ist auf Lippen zu starren und auf Hände. Schöne Hände sind Schlüssel in die Büchsen der Welt.
Es waren schöne Hände, weiche Hände, die einen umfassen und dann zufällig über Arme streichen, ganz unauffällig auffällig Haarsträhnen umfassen bis es zu spät ist und man mit dem Bier draußen steht und frieren sollte. Aber man hat eh schon zu viel intus – was ist kalt? Du denkst, dass wäre ein guter Moment sich auszuleben. Sagt man doch, sich mal so richtig ausleben von vorne bis hinten. Und er denkt, du weißt nicht, was er denkt, aber es ist dir auch egal. Schlussendlich ist eh nicht mehr so wichtig und der süße Duft in der Luft macht nur alles noch unwichtiger.
Natürlich machst du den dämlichen Fehler und nimmst ihn noch mit. Er läuft dann so nebenbei, während du alles umarmst. Ihr seid schon beim Klammern. Oder er ist am klammern. Du lässt es auf jeden Fall zu und verdrängst brav in deine Schubladen. Sein Arm ist währenddessen schon um dich wie im Schwitzkasten der Liebe. Ihr redet noch über so viel Belanglosigkeit und grinst euch so liebevoll an. Dabei spricht da nur noch ertrunkenes Gehirn und Hormone und alle argumentieren, es ist schon richtig, was wir hier tun, weil sie wir haben es dringend nötig. Wir wollen gekratzt werden, es juckt und du sagst ihnen nur: Naja, okay und dann passiert es auch schon.
Wie er dich gegen die Wand drückt und du ihm schwer in die Ohren atmest wie sich seine Zunge in dich vergräbt und ihr euch nach oben schleicht, lachend und lallend. Wie ihr kichernd stolpert und die Wohngemeinschaft euer Vorstöhnen schon im Gang hören kann. Ein guter Kumpel hätte in seinem Bett gegrinst und dich stöhnen lassen. Ein sehr guter Kumpel wäre nach draußen geschritten, hätten den Typen rausgeworfen und dir gesagt, dass du aufhören sollst. Du hast nur gute Kumpel und dir bleibt nichts als die Schuhe hektisch auszuziehen, deine Hand seinen Bauchnabel hinabgleiten zu lassen und scharf die Luft in deine Lungen zu pressen.
Der Akt endet im Platzen und dann sitzt du genervt da, während er näher rückt und von nichts mehr redet, aber dich so anstarrt. Wie dich Typen nur anstarren, die es ernst meinen und so betrunken wie du warst, war es dir erstmal egal. Da hing wohl noch immer ein wenig Gras in deinen Lungen, weil anders kannst du dir das Grinsen nicht erklären, was du machst. Wahrscheinlich auch nur, weil die Realität zu tief schneidet. Anders kannst du dir nicht vormachen, warum du dich zu ihm gelegt hast.
Und dann ist es passiert, dann warst du mittendrin und konntest nicht mehr raus aus diesen komischen zusammen Filme gucken und sich ankuscheln, Insider basteln und Kochabende. Dieses andere Pärchen treffen, im Kino sitzen und mit weitem Pulli in Geborgenheit einschlafen. Wo er alles tut und du nichts, außer süß und knuddelig wirken, um nicht zu zeigen, dass du das alles gar nicht willst.
Im Zug fragst du dich wieder, was das alles eigentlich noch für einen Sinn hat und wo man hätte Striche ziehen müssen. Aber du warst immer nur gut im verknoten, nie im Durchtrennen. Der Umzug war seine Idee, die neue Wohnung besichtigen ein guter Plan, um sich noch näher zu sein. Sich mehr einzusperren. Er hat von der Stelle geschwärmt und du hast nur genickt, du wirst schon was auftreiben, ein Job, der liegt da dort nur rum, und kannst dich nicht mal mehr selbst finden.
Sitzend starrst du in den Regen und fragst dich, was aus dem Herbst geworden ist. Warum er so leise ist und er nie so laut wurde. Warum du keinen Herbst ihn angebrüllt hast, je weiter du verschwunden bist und die Blätter unter deinen Füßen verwesten. Du fragst dich, wann du aufgehört hast einfach mal zu machen statt zu denken. Du fragst dich…
„Worüber denkst du nach?“, hörst du ihn fragen und starrst wieder nur in Augen, die dich noch nie begeistern konnten. Und merken, dass du ihn eigentlich hasst, tun sie erst recht nicht. Trotzdem bleibst du. Weil Zweck viel einfacher ist und er nichts sagt, dass er doch spüren muss, dass was kaputt ist und nicht so sein kann. Wahrscheinlich denkt er genauso, weil Zweck so einfach und gemütlich ist.
Er streicht über deine Haare, küsst deine Stirn und dann wartest du nur darauf, dass er wiederholt. „Ich liebe dich.“ So ernst gemeint, dass es nicht guttun kann.
Und du sagst wie immer nichts und siehst wieder nur zurück in den Herbstregen, weil Liebe manchmal Liebe ist und du ein verdammter Idiot.
Deinen Kopf gegen die Scheibe gelehnt, hoffst du doch nur eines Tages würde es sich ändern. Dass da dieses Dröhnen in deinen Hirnwindungen aufhört oder was auch immer es sonst sein mag, was sich da unter deine Schädeldecke herumtreibt. Haben ja alle, sagen sie. Ist ganz normal, meinen sie. Dabei versuchst du im Regen des…