Die Schändung des Shakespeare

Dank Streik konnte ich kaum noch Luft in meine Lungen pumpen. Jeglicher Sauerstoff war weggeatmet und in mir schrie alles nach Freiheit. Jeder war genervt und in den Gesichtern der Bahngäste traf man Zorn und perverses Grinsen, weil manche hier den Körperkontakt ihres Lebens zu spüren scheinen. Mir blieben fremde Hände glücklicherweise fern… (Ihr glaubt gar nicht, was ich in der U-Bahn schon gespürt habe, da war ich froh wieder rauszukommen). Und ausgerechnet imeh schon zu warmen und stickigen Abteil musste noch genau eine junge Frau eintreten, deren Lachen wie das einer Hyäne klang. Genauso laut und markdurchdringend, fast schon hämisch, war sie zu hören. Der Montagmorgen war perfekt… NICHT!

„Ja, weißte, war voll geil, ey…“ Nein… NEIN! Warum muss das jetzt auch noch sein, dachte ich, während meine Mitfahrer schon anfingen sie nachzuäffen. „Voll geil ey, voll die mega Party, ey.“ Wo ist die Knarre, wenn man sie braucht? Wir mussten alle lachen, wie krassgeil doch die Situation war oder vielmehr das Fremdschämpotenzial für den Mord an der Sprache. Von meinem Platz aus konnte ich die langen, schwarzen Haare von ihr sehen und nach Klischee sah sie eigentlich nicht aus, aber den intelligentesten Eindruck machte sie jetzt auch nicht auf mich. Zumindest hatte sie so einen leeren Blick und ihre Hand-Fuß-Koordination hatte mehr etwas von einem Affen, als von einen Homo Sapiens. Ansonsten wirkte sie fast normal auf. Den Putz, den ich auf ihrem Gesicht erwartet hatte, war nicht zu sehen. Dezentes Makeup, man war fast gewillt zu sagen, sie sah gut aus.

Sie kramte etwas aus ihrer Tasche und meine Augen fielen fast heraus. Die liest?! Ausgerechnet die?! Von der Ferne konnte ich anfangs nicht erkennen, was es war, aber mir kam das Cover seltsam bekannt vor. Was ist das? Und vor allem, was kann die lesen, dass ihre Sprache so furchtbar verkommen ist?

Sie begann mitten im Zug lesen. Wohlgemerkt, vorzulesen! In Englisch… Nicht den Gästen, sondern ihren Mitfahrer, aber wir mussten ja alle daran teilnehmen. Sie war nicht zu überhören.

In mir bildete sich ein Magenschwür. Bei ihrer englischen Aussprache wollte der angehende Englischlehrer in mir brüllen und alles nur ungeschehen machen. Auch noch englische Sprache… Sie war eine Antithese in sich selbst und überraschte mich gleich in mehrerlei Hinsicht. Der Niveauverfall schmerzte und ich fragte mich, ob sowas nicht wehtut. So wie sie lacht, wohl nicht… Schlaganfall war es auch nicht. Was stimmt mit ihr bloß nicht?

„Pass auf!“, schrie sie herum und ich hörte genau hin. Irgendwoher kannte ich die Zeilen, aber ich wusste nicht was daran so bekannt war. Sie wechselte wieder ins Englische und fing lauthals das Lachen an. Ihr männlicher Begleiter lächelte etwas verlegen und nervös durch das Abteil. Hopsend zwischen Verzweiflung und Hilfeschrei. Tja, ich würde mich da auch unwohl fühlen, wenn ich offensichtlich zu diese Hauptpunkt der Party gehöre. Unfreilwillig eine Attraktion im Zirkus des Lebens geworden…

Ich hab den Witz wohl nicht kapiert oder nicht richtig zugehört, auch die deutsche Version war nicht im Ansatz lustig. Warum lacht sie also? Schlechter Humor, Galgenhumor?

„Das ist so dämlich, ey. So blöd, weißte?“ Ähm, nein? Dem Blick des Typen zu urteilen, ging es ihm wohl ähnlich. Ich kniff meine Augen zusammen um den Titel besser zu erkennen und auf einmal wusste ich woher ich das Cover kannte. Eine Freundin von mir hat eine Reihe von Ausgaben, die genauso aussehen. Es sind zweisprachige Bücher von Shakespeares Theaterstücken. Oh nein… Eine Trägodie!

Ich sah erschrocken zu meinen Mitfahrern, die sich immer noch über sie lustig machten. „Halt die Fress‘!“

„Die vergewaltigt Shakespeare!“, schrie ich heraus. Auf mir ruhten alle Augen.

„Na, also das kann man jetzt auch falsch verstehen.“, meinte eine. Die Runde lachte.

Sie fuhr weiter in ihrem Monolog fort zwischen Lachen und hysterischen Luft holen. Mittlerweile war die Stimmung im Abteil zwischen Atombombenangriff und kurz vor Ausbruch des Weltkriegs. Von den Menschenmassen könnte es auch ein Bunker sein. Die Begleitung hatte nicht mal mehr ein Lachen übrig, zu viel Sorge zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Wahrscheinlich überlegte er wie er den Zombieangriff der müden Bahnfahrer am Morgen entgehen kann. Tut doch dem nicht so weh! Merkst du nicht, dass du nervst?!

Ich wusste nicht, welches Theaterstück sie da vortrug, aber egal, welches es war, sie trat es mit solcher Wucht, dass in mir alles wimmerte. Aber sie hörte nicht auf, sie wollte nicht aufhören Shakespeare zu schänden. Noch schlimmer… Ich fand endlich heraus wie es heißt: MacBeth. Es ist Macbeth! Mädel, bitte, lass es… For God’s Sake, have mercy!

Die Durchsage erlöste uns und sie packte endlich das Buch, lachte immer noch dieses schrille Gekicher und ließ sich darüber aus, wie dämlich es doch ist. Es ist nicht dämlich, du bist dämlich!

„Man, armer Shakespeare.“, murmelte ich vor mich hin, bevor sie aus dem Zug verschwand und wohl weiter im geheimen Shakespeare zu schänden drohte. Es ist Shakespeare, verdammt nochmal! Der hat das nicht verdient… E L James vielleicht, aber nicht Shakespeare!

„Gott sei Dank, sie is weg. Ich hätte ihr gleich eine gescheuert!“, sagte einer meiner Mitfahrer plötzlich. Ich konnte nur nicken und trauerte immer noch Shakespeare hinterher. Die wahre Tragödie an diesem Morgen… Da wären auch Romeo und Julia frühzeitig in den Tod gesprungen.

Dank Streik konnte ich kaum noch Luft in meine Lungen pumpen. Jeglicher Sauerstoff war weggeatmet und in mir schrie alles nach Freiheit. Jeder war genervt und in den Gesichtern der Bahngäste traf man Zorn und perverses Grinsen, weil manche hier den Körperkontakt ihres Lebens zu spüren scheinen. Mir blieben fremde Hände glücklicherweise fern… (Ihr glaubt…

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